Über meine Arbeit
»Meine künstlerischen Arbeiten sind Zufallsfunde –
aufgelesen während zahlreicher Spaziergänge
in den Wäldern meiner rechten und linken Gehirnhälften.«
Meine Malerei beginnt meist mit dem absichtslosen Strich, der Fläche, etwas Gewischtem – bis sich Erkennbares zeigt und zum Bild wird. Es folgen assoziative Formulierungen, ein Titel.
Intuitiv zu arbeiten ist pure Hingabe an das gedankenfreie Gestalten. Es ist die Lust, der spontanen Geste zu folgen und ein Bild zu entdecken. Diese Arbeitsweise gibt mir ein Gefühl existenzieller Freiheit.
Interpunkt I - IV / 1987
in diesen Grafiken spiele ich mit dem Moment, in dem etwas erkennbar wird.
Das Hinzufügen eines Punkts bewirkt, dass ein Auge, ein Blick oder ein Gesicht angedeutet zu sein scheint.
Pinsel, Filzstift, Sprühfarbe auf festem Kupferdruckpapier
400 x 530 mm
1987
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Sphärische Fluchten
Zu schauen und etwas entdecken zu wollen, kenne ich aus frühen Kindertagen. Ich lag allein in meinem Bett, während durch die Wand Stimmen und Gelächter drangen. Ich erinnere, wie ich die Augen der Holzmaserung entdeckte. Wie starr sie schauten und wie es mir dabei im Bauch zog.
Ich verträumte mich in die Zeichnungen der 50er-Jahre-Tapete, betastete mit den Augen die Symmetrie des Stucks, beobachtete die Schattenspiele der Gardine, mäandernde Wasserflecken an der Zimmerdecke… Ich entdeckte Gebilde, Gesichter, Tiere, Fratzen. Manchmal bedrängten sie mich und es war schwer wegzuschauen. Sie leisteten mir Gesellschaft und verursachten Gefühle, für die ich keine Worte hatte.
Unregelmäßigkeiten, Vertiefungen, Flecken – Spuren organischen Lebens und der Vergänglichkeit. Ebenso Umrisse im Licht, sich wandelnde Strukturen… Heute wie früher öffnen sie mir den Zugang zu sphärischen Fluchten. Welten, die mir Geschichten erzählen. In die ich eintauchen und in denen ich mich verlieren kann. Sie relativieren Sorgen und Pläne. Lassen mich den Augenblick genießen und bringen mich auf neue Gedanken und Ideen.
Die Ästhetik der Mauern
Es gab eine weitere Zeit, die meine Ästhetik prägte. Wiederum spielten Wände und Unregelmäßigkeiten eine wichtige Rolle. Ab Ende der 70er Jahre entwarfen wir in einer Kunst- und Grafikinitiative Plakate, die später im Stadtgebiet an Mauern und Wände geklebt wurde. Was verboten war. Ebenso wie das Sprühen oder Malen vom Parolen.
Mich faszinierten die Wandgraffitis. Ihre provokante, manchmal fantastische Kreativität. Ihr anarchistischer Wortwitz. Sie waren unübersehbar, was ich vor allem der Grobheit der hastig hingeworfenen Pinselstriche zuschrieb. Und der triefenden Sprühfarbe. Mich interessierte dies alles so sehr, dass ich Schriften für Mauern entwarf. Natürlich auch ein für den Plakatdruck gedachtes Sprühalphabet. Mit Lecknasen – versteht sich.
Gelungene Mauersprüche wurden auf Demonstrationen weitererzählt. Und die 1981 von mir publizierte und einem Grafitti nachempfundene Grafik »Stell Dir vor es ist Krieg, und Keiner geht hin.« verbreitete sich während der bedrückenden Jahre des Kalten Kriegs viral.
Wenn ich auch mit der Zeit einen anderen künstlerischen Weg einschlug, verneige ich mich mit meiner Kunst immer auch vor den StreetArt-Künstler*innen. Den Menschen, die – meist abseits der etablierten Kunstszene – spontan etwas in Straßen und auf Asphalt zum Ausdruck bringen.
Originalzeichnung der bekannten Grafik von 1981
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Loslegen
»Es gibt nichts Gutes, außer man tut es« – Gemäß diesem Leitspruch galt auch: Schluss mit den ideologischen Debatten! Loslegen, wenn der Impuls da ist. Einfach machen. Eine zündende Idee. Sprühfarbe, vielleicht eine Schablone, im richtigen Augenblick. Das genügte, um sich auszudrücken. Der Mauergrund selbst war Teil der Botschaft.
Folglich war letztlich alles, worauf es sich malen ließ, ebenfalls Teil der Botschaft. Ich warf ich flüchtig Striche und Kritzeleien auf Holz oder Pappen. Dann kamen Tischplatten und Bauholz dazu. Ich entdeckte in ihnen wieder Andeutungen von Augen oder Szenerien und vervollständigte sie zu Bildern.
Es war die Zeit der farblauten Malerei der Neuen Wilden, die mich inspirierte. Mir gefiel ihre Unbekümmertheit. Ihre Obsession. Das Expressive, Intensive.
Jugendzimmer / 1986
Malerei auf Tischplatte
750 x 1230 mm
1986
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Schweinehirsch in dichtem Gebüsch / 1984
Malerei auf Plakatkarton
505 x 690 mm
1984
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Zeitung lesen / 1984
Malerei auf Plakatkarton
465 x 550 mm
1984
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Junger Mann am Strand / 1984
Malerei auf Plakatkarton
500 x 680 mm
1984
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Der Anfang und das Dunkle
Dann wollte ich weg vom Bunten, als wäre es nur Oberfläche. Reizvoller wurde die Welt darunter. Ich wagte mich ans Dunkle, Tiefschwarze. Arbeitete meist auf Holz, das etwas aushalten konnte. Begann, aus den Farbschichten Bilder und Gestalten zu schaben. Etwa so wie ein Archäologe, der ahnt, dass er im Geröll eine unbekannte Figur entdecken und sie freilegen wird.
Entfaltung / 1991
Malerei auf Spanplatte
1500 x 1000 mm
1991
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Ich glaubte, im Schlaf wär ich sicher / 1992
Malerei auf Spanplatte
1500 x 1000 mm
1992
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Das verborgene Leben
Je tiefer ich grub, desto mehr kam Persönliches zum Vorschein. Aus schnelltrocknenden, kreidigen, gesprühten und verwischten Farbschichten ebenso wie in Materialcollagen tauchte das auf, was mich antrieb. Spiegelungen existenzieller Themen: Wut, Schuldgefühle, Scham, Konflikte, Krieg und Unmenschlichkeit, Fremdes und Entfremdung. Und es zeigten sich Personen. Mein Vater, ein Lehrer, ihre Wucht und Kälte. Übergriffe, Bedrohung, Trauer, Trennung, Einsamkeit…
Die Kralle / 1989
Mobilmachung / 1990
Malerei auf Spanplatte
1000 x 1500 mm
1990
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Der Hass des Nachbarjungen / 1992
Malerei auf festem Karton
535 x 735 mm
1992
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Wider die Ohnmacht
Gleichzeitig entdeckte ich die Selbstironie und das Lachen über mich selbst als Möglichkeit, die Ohnmachtsgefühle zu entschärfen. Ebenso absurden Spott, den ich insgeheim spitz ausformulierte. Dadaistische Grotesken, um nicht wahnsinnig zu werden.
Kitsch ist der beste Ratgeber / 1989
Malerei auf Stoff
480 x 680 mm
1989
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Der Busen der Natur ist nicht immer das Gelbe vom Ei. / 1989
Malerei auf Stoff
480 x 680 mm
1989
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Diesen Fettfleck möchte ich doch gern weghaben. / 1989
11 Eier sind kein Pappenstiel. / 1989
Neue künstlerische Freiheiten durch neue Materialien
Zeitgleich begann ich mit der Malerei auf transparenten Plexiglasscheiben und Baufolien. Dadurch eröffneten sich mir neue Perspektiven. Ich spielte mit der Durchsicht, bemalte Flächen nicht mehr vollständig, ließ Stellen frei, bearbeitete den Kunststoff von zwei Seiten und erkundete so neue Bildwirkungen. Licht und Leere, der Raum dahinter, die Tiefenwirkung erweiterten ein Bild um neue Dimensionen.
Tanzen ! / 1988
Zeichnung, Sprühtechnik auf transparenter Folie
485 x 355 mm
1988
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Eislaufen / 1988
Zeichnung, Sprühtechnik auf transparenter Folie
600 x 470 mm
1988
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Herr Pfarrer in tiefer Sorge / 1988
Zeichnung, Sprühtechnik auf transparenter Folie
470 x 320 mm
1988
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Digitale Möglichkeiten
Neu hinzu gekommen ist, dass ich heute bei kleineren Formaten häufig die ersten schwarzen Striche am iPad zeichne. Auf Transparentfolie gedruckt werden sie später malerisch weiterbearbeitet.
Durch das Material und meine jetzige Maltechnik hat sich die Ästhetik meiner Arbeiten gewandelt. Die Art meiner Bild- und Themenfindung ist hingegen gleich geblieben.
Argwohn III / 2020
Digitalprint und Acrylfarbe auf Transparentfolie
210 x 297 mm
03/2020
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Nonna / 2020
Digitalzeichnung, Acrylfarbe auf Transparentfolie
210 x 297 mm
02/2020
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schwindelnd / 2020
Digitalzeichnung, Acrylfarbe auf Transparentfolie
210 x 297 mm
01/2020
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Die Unterseite der Malerei
Ähnlich der Hinterglasmalerei bemale ich fast ausschließlich die Rückseite der Folie. Dadurch gelangt zwischen Farbe und Folie keine Luft mehr, was eine dauerhaftere Farbbrillianz zur Folge hat.
Ich arbeite also seitenverkehrt, wodurch das Ergebnis – von vorne (der »richtigen« Seite) betrachtet – die Unterseite der Malerei zeigt. Die ersten, spontanen, manchmal unwillkürlichen oder unbeholfenen Malstriche bleiben so sichtbar, wenn das Bild vollendet ist. Häufig verwende ich am Anfang fettes Schwarz. Dominant und bildbestimmend.
Der Seismograph
Mal beginne ich mit entschieden kraftvollem Strich. Dann wieder ist er unsicher-fahrig. Beinahe so, als wäre mein Arm mit dem Pinsel, dem Spachtel oder Stift in der Hand so etwas wie ein Seismograph, der die Dynamik der Verschiebungen im Erdinneren aufzeichnet, indem er Linien, Zacken und Gezitter aufs Papier bringt.
beauties on catwalk / 2020
Acrylfarbe auf Transparentfolie
1170 x 590 mm
08/2020
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Das Fremde in mir
Es kommt immer wieder vor, dass mich ein Werk, wenn es fertig ist, überrascht. Auf Grund einer inneren Notwendigkeit habe ich es fertiggestellt, finde jedoch zum Schluss keinen Zugang zu ihm. Das Bild ist rätselhaft. Als hätte ich etwas Flüchtiges festgehalten. Fremdes, dem ich mich nicht gerne stelle. Dem ich nicht gerne in die Augen schaue.
Es gibt sogar Arbeiten, über die ich mich am Ende ärgere. Doch meistens sind es gerade diese, die sich letztlich für mich als besonders wertvoll herausstellen.
Es ist wie bei einem Traum, über den ich nach dem Aufwachen den Kopf schüttele. Solche Traumerlebnisse sind flüchtig und drängen mich, sie möglichst schnell zu deuten. Die Bilder dagegen sind geduldiger. Sie kommen vorerst in eine Mappe, bis sie wieder angesehen werden.
was mich dermaßen aufregt an Dir... / 2020
Foto, Digitaldruck, Zeichnung, Acrylfarbe auf Transparentfolie
420 x 297 mm
04/2020
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Versuch, das Fremde zu begreifen / 2020
Foto, Digitaldruck, Zeichnung, Acrylfarbe auf Transparentfolie
420 x 297 mm
04/2020
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Mein Bauchladen
Irgendwann erhalten fast alle Bilder Titel. Sie entstehen spontan, assoziativ. Sie folgen keiner Logik und bedürfen aus meiner Sicht keiner Erläuterung. Anders als früher, geht es mir nicht mehr darum, eine Botschaft in die Welt zu schicken. Sie sind intuitive Analogien. Sie dienen mir als Anker, als Fundgrube, als Archiv meiner Innenwelt und Geschichte.
Der große Kompromiss / 2020
Acrylfarbe auf Transparentfolie
1000 x 1000 mm
ohne Rahmen
11/2020
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Einladung
Ich habe meine Arbeiten bisher nur selten und meist nur im kleinen Kreis gezeigt. Das Schaffen war mir immer wichtiger. Erst seit Kurzem mag ich meine Bilder auch loslassen. Sie drängen ans Licht und ich wünsche mir breite Resonanz. Ich möchte sie als Einladung zum Innehalten und zur persönlichen Einordnung verstanden wissen. Als Brücke zum Wiedererkennen.
Verbindend gilt als Beschreibung meiner Bilder heute wie früher immer noch, was ich 2005 in Anlehnung an den Titel einer Einzelausstellung (1992) formuliert habe: »Meine künstlerischen Arbeiten sind Zufallsfunde – aufgelesen während zahlreicher Spaziergänge in den Wäldern meiner rechten und linken Gehirnhälften.«
Hamburg, im März 2021
Lichtwesen I / 2020
Digitaldruck auf Transparentfolie, Bleistiftzeichnung, Acrylfarbe
297 x 420 mm
11/2020
Analoger Brief an das Fremde / 2020
Digitaldruck auf Transparentfolie, Tuschezeichnung, Acrylfarbe
297 x 420 mm
11/2020
Johannes Hartmann + Mauerfragment, fotografiert im Mai 2021 von Anja Schulz, Hamburg
Das Porträt entstand im Rahmen der Kunst-Altonale »Systemrelevant. Das bin ich!«.
Die Künstler*innenporträts wurden im Altonaer Museum gezeigt.
Konzept: Anja Schulz und Suse Bohse
Ausstellungen etc.
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Meine Graffitiparole »Stell Dir vor, es ist Krieg, und Keiner geht hin.« wurde durch den Angriffs auf die Ukraine von der Realität überholt. Der Krieg ist nun in unmittelbarer europäischer Nachbarschaft angekommen.
Ihre Formulierung weckte 1981 während des Kalten Krieges Hoffnung. Heute weckt sie Zweifel. Letztlich wird allein die russische Zivilgesellschaft Putin stoppen können. Doch seinen Destabilisierungsbemühungen, die in letzten Jahren bei uns Früchte trugen, die zu Hetze und Polarisierungen geführt haben, können wir nur selbst zurückdrängen.
Die Grafik aus dem Jahr 1981 wurde zum Zeitdokument. Wie es dazu kam und wie der Spruch selbst entstand, all dies habe ich hier sowie bei SPIEGEL Geschichte erzählt.
Weniger bekannt sein dürfte, dass die Orignalzeichung immer noch existiert und sich in meinem Besitz befindet. Mein Wunsch ist es, ihr in einer passenden zeitgeschichtlichen Umgebung ein neues Zuhause zu verschaffen.